Klicke hier auf Play, um den Artikel zu hören, statt zu lesen!

Was ist Neurodiversität?

Neurodiversität einfach erklärt ist die natürliche neurologische Vielfalt menschlicher Gehirne. Jeder von uns denkt anders, kann in anderen Situationen glänzen, hat eigene persönliche Stärken und Herangehensweisen. Der Begriff Neurodiversität meint daher tatsächlich alle Menschen. In dem Zusammenhang wird auch manchmal von verschiedenen Neurotypen gesprochen. (Quelle vgl Havard Health)

Neurodiversität einfach erklärt

Im Kern geht es darum, wann man als Mensch was lernt also welchen Entwicklungsschritt macht. Oft haben wir alle einen Weg gefunden, die wichtigsten Dinge im Leben hinzukriegen. Wenn du dich schon mal gefragt hast “warum macht die das so kompliziert?”, dann kennst du mindestens eine Person mit anderem Neurotyp als du.

Neurotypisch beschreibt „die Norm“. Ich nenne es auch gerne die Standardschablone. Niemand ist normal, aber wir alle haben eine Vorstellung was das wäre. Wenn man sich relativ wenig anpassen muss, um durch die Standardschablone zu passen, wird das neurotypisch genannt.

Eine bemerkenswerte Abweichung (Divergenz) von neurotypisch wird als neurodivergent beschrieben. Das ist ein Überbegriff für unter anderem ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), ASS (Autismus-Spektrum-Störung), Dys-Lernstörungen, Hochbegabung, Hochsensibilität und Hochintelligenz.

Was sind häufige Neurodivergenzen?

Häufig auftretende Neurodivergenzen a) nach offizieller Definition und b) kurz erklärt.

Autismus (ASS)

“Autismus ist eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung. Häufig bezeichnet man Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) auch als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken.” Quelle

Autismus sieht oft unterschiedlich aus und nur relativ selten wie wir es aus Filmen oder Serien kennen. Autismus in Erwachsenen ist oft unauffälliger als bei Kindern. Das liegt daran, dass Autist:innen wesentlich mehr Sinneseindrücke verarbeiten (bis zu +40%) und damit erstmal umgehen lernen müssen. Was oft bleibt ist sowohl ein besonderer Beobachtungssinn und eine sehr wörtliche Interpretation und Nutzung von Sprache.

Meinen persönlichen Take zu Autismus findest du hier.

ADHS

ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung und bezeichnet eine Verhaltensstörung von Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, die durch Auffälligkeiten in folgenden drei Kernbereichen gekennzeichnet ist: starke Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, starke Impulsivität, und ausgeprägte körperliche Unruhe (Hyperaktivität).” Quelle

Der Begriff ADS (Aufmerksamkeitsdefizitstörung) wird übrigens inzwischen gar nicht mehr verwendet.

ADHS zeichnet sich sowohl durch Spontanität als auch durch Hyperfokus aus. Das Problem entsteht oft darin, dass die Betroffenen sich das Thema ihres Hyperfokuses nicht aussuchen können. Da wäre Chemie sicher manchmal praktischer gewesen als ein Computerspiel …obwohl, auch daraus lassen sich inzwischen Karrieren machen. Die eigene Aufmerksamkeit nur schwer bzw. mit ganz anderen Mitteln als andere Neurotypen lenken zu können, bleibt trotzdem eine Herausforderung.

Lernstörungen

Dyslexie (manchmal auch mit Lese- und Rechtschreibschwäche bezeichnet): “Menschen mit Dyslexie haben Schwierigkeiten beim Erkennen und Verarbeiten von Buchstaben und Wörtern, was zu Problemen beim flüssigen Lesen, beim Schreiben und bei der Rechtschreibung führt.” Quelle

Dyskalkulie (oft auch Rechenschwäche genannt): “Der Umgang mit Zahlen hat in unserem Alltag eine große Bedeutung – bei einer Dyskalkulie ist dies gestört oder Zahlen können gar nicht verstanden und bearbeitet werden.” Quelle

Dyspraxie: “Bei einer Dyspraxie sind das Verständnis des Körpers in seiner Orientierung und Position im umgebenden Raum einerseits und die unfallfreie Bewegung im Raum sowie die Kontrolle von Gliedmaßen und Körperposition nicht gut ausgebildet oder sogar äußerst fehlerhaft.” Quelle

Dysgraphie: “Dysgraphie ist eine spezifische Lernstörung, die mit Schwierigkeiten beim Schreiben zusammenhängt und sich auf die akademischen Leistungen und das tägliche Leben einer Person auswirkt.” Die Quelle beschreibt außerdem unterschiedliche Arten von Dysgraphien und ihre genaue Abgrenzung zur Dyslexie.

Mir persönlich hat es geholfen, Lernstörungen unter dem Blickwinkel zu verstehen, dass vielleicht jemand in Bildern statt in Dialogen denkt. Wenn man Buchstaben im Kopf ganz einfach um die eigene Achse drehen kann (sogar aus versehen), sind d und b nun mal dasselbe – nur von der anderen Seite angeguckt.

Und dann bringt es halt nichts den Buchstaben zum 100sten mal schreiben zu üben, aber ganz viel eine bestimmte Art von Konzentration beigebracht zu bekommen, um “die Buchstaben festzuhalten”. Achtung: Die Analogie gilt natürlich nicht für alle Betroffenen und soll rein der prinzipiellen Verständlichkeit helfen.

Hochsensibilität (HSP)

“Hochsensible Personen (HSP) nehmen Reize und Emotionen intensiver wahr und verarbeiten sie tiefer als neurotypische Menschen. Diese erhöhte Empfindlichkeit führt dazu, dass HSP schnell auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren, Details erkennen, die andere übersehen, und stark auf soziale und emotionale Dynamiken eingehen.” Die Quelle zeichnet auch den Bezug zur Hochbegabung. Hochsensibilität wird übrigens im Englischen mit Hochsensitivität übersetzt, es geht ganz eindeutig um intensive Wahrnehmung.

Food for thought: In unseren Mobiltelefonen freuen wir uns über feinere Sensoren.

Selbstdiagnose – Erleichterung oder Tücke?

Klingt nach potentiell vielen Überschneidungen, oder? Frei nach dem Motto “eine Neurodivergenz kommt selten allein” liegen Mehrfachdiagnosen je nach Kombination bei 50-80%. Zum Beispiel bei ADHS + Autismus in den vergangenen Jahren bei 60% (Tendenz steigend).

Offizielle Diagnosen gibt es oft einfacher für Kinder und Jugendliche. Das liegt daran, dass eigentlich niemand von außen beurteilen kann, wie man innerlich tickt (obwohl die Gehirnscanforschung riesige Schritte macht!). Eine Frage “denkst du anders als andere?” funktioniert auch nicht, wir kennen ja alle nur den eigenen Kopf. Außerdem kommt mit steigendem Lebensalter Sozialisation und Erfahrungsschatz hinzu. Beides trägt dazu bei, dass wir besser darin werden, unserem Wunsch dazuzugehören auch ohne externe Hilfe besser nachzukommen.

Es ist daher schwerer die Anzeichen für Neurodivergenz in Erwachsenen auszumachen im Vergleich zu Kindern oder Jugendlichen.

Neurodiversität einfach erklärt. Abstrakte Illustration eines menschlichen Gehirns aus leuchtenden Puzzleteilen, Symbol für Neurodiversität und die Vielfalt, wie Menschen denken. Was ist Neurodiversität?

Wie verlässlich sind Online-Tests?

Einstufende Fragen findet man inzwischen Online (zum Beispiel hier) Wer sich selbst einen Überblick verschaffen will, findet darin einen einfachen Weg.

Aber Achtung: Man muss nicht nur wirklich ehrlich mit sich selbst sein, man muss auch verstehen wie die Fragen gemeint sind! Denn “gehst du sehr strukturiert vor?” ist immer noch ein “ja”, auch wenn man ganz genau weiß, dass man die eigene Routine mindestens 3 mal pro Woche bricht (das Ding ist eher, dass du ganz genau weißt, wie und wann du das getan hast und es dich eventuell sogar sehr aufregt).

Als einen extrem guten Tipp empfinde ich “Mache den Test nicht allein”. Lasse dir die Fragen von einer Vertrauensperson stellen. Antworte in ganzen Sätzen oder mit einem kurzen Beispiel und lasse dein Gegenüber die Bewertung vornehmen. Und falls du dir (ggf. zu recht) Sorgen machst, dass das dein Testergebnis eher verschlimmbessert, nutze ein Programm wie ChatGPT und weise es an, die Fragen (aus dem Test) eine nach der anderen mit dir durchzugehen und dir mit der korrekten Bewertung zu helfen. Das wichtigste ist, dass grundsätzlich eine vertrauensvolle Grundhaltung herrscht.

Eine offizielle Diagnose durch eine entsprechend qualifizierte Fachkraft ersetzt ein Onlinetest nie. Wenn es dir jedoch zum Beispiel um inneren Seelenfrieden geht, kann der Selbsttest helfen.

Spoiler: neurotypische Menschen beschäftigen sich typischerweise nicht monate- oder gar jahrelang mit dem Thema Neurodivergenz und leiden am Ende trotzdem am Impostor-Syndrom.

Modeerscheinung oder Mythos?

Wie viele Menschen sind neurodivergent?

Inzwischen gilt ein 10-20 prozentiger Anteil an Neurodivergenzen (in Summe) in der Bevölkerung als plausibel. Quelle

In Großbritannien gibt es etwas genauere Zahlen, dort werden 15-20 % in der arbeitenden Bevölkerung angenommen Quelle. Anders ausgedrückt: es gibt mehr Neurodivergente als Linkshänder.

Ergibt auch Sinn, wenn Neurotypen verschiedene Arten zu Denken widerspiegeln. Wie oft hört man “schau mal hier” oder “hör mal richtig hin” – die Chancen stehen gut, dass diese Aussagen von verschiedenen Neurotypen stammen.

Neurodiversität im Job

Erster Schritt: Aufklärung. Das ist wichtig, denn wenn wir über etwas Bescheid wissen, haben wir die Chance, es zu berücksichtigen.

Zweiter Schritt: Kommunikation. Bemühe dich klar zu kommunizieren, am besten so, dass du auch von anderen Neurotypen verstanden wirst. Das gilt für uns alle: die Neurotypischen ebenso wie die Neurodivergenten. Es gibt keine “bessere” oder “schlechtere” Seite und auch keine der Kommunikation schwerer oder leichter fällt.

Was macht ein inklusives Umfeld aus? Akzeptanz, Bewusstsein und Sicherheit. Ein Test: Stehen im Team mehrere Wege (mündlich, schriftlich, spontan, strukturiert,…) zur Verfügung die eigene Meinung oder Ideen einzubringen? Werden die unterschiedlich genutzt oder hören sich Ideen und Meinungen oft ähnlich oder gar gleich an?

Vorteile von Neuro-Inklusion am Arbeitsplatz

Der größte Vorteil von unterschiedlichen Neurotypen ist, dass man sich noch besser ergänzen kann. Das beginnt im Alltag und reicht bis in die Ideenschmiede, wo der Blumenstrauß an Möglichkeiten umso bunter wird.

Hard-facts sprechen außerdem von 40 % gesteigerter Produktivität, 15 % erhöhter Mitarbeitendenbindung und 25 % höherer Mitarbeitendenzufriedenheit (einzelne Studienergebnisse belegen sogar respektive 78 %, 30 % und 85 % , Quelle Metastudie)

Spread the flow

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert