Viele neurodivergente Menschen kämpfen damit, nicht gesehen zu werden. Oft, weil Neurodivergenz gesellschaftlich noch kein positives Bild genießt. Oder weil man nicht jedes Mal erklären will, warum man anders reagiert.
Unsichtbar – oder übersehen?
Neurodivergenz kann sich ganz unterschiedlich zeigen und oft auf eine Weise, die falsch interpretiert wird. Die typischen Vorurteile (Autisten könnten keinen Augenkontakt halten, ADHSler nicht stillsitzen, Dyslexiker nicht flüssig lesen und viele weitere) stimmen fast nie.
Statt mich daran aufzuhalten, möchte ich Zusammenhänge sichtbar machen. Deshalb drei Beispiele, wie Neurodivergenz auch aussehen kann. Und wie du als Gegenüber reagieren kannst:
1. Langatmige Erklärungen.
Wenn dir jemand etwas richtig ausführlich erklärt, bedeutet das: das Thema oder auch du bist dieser Person wichtig. Wahrscheinlich sogar beides. Für viele neurodivergente Menschen ist eine starke Begründung nötig, um Aufgaben anzugehen oder Begeisterung zu entwickeln. Diese Begründung mit dir zu teilen, ist eine Form von Nähe.
Reaktion: Hör hin. Eine kleine, interessierte Frage reicht, um Gemeinsamkeit zu schaffen. Gemeinsam „abnerden“ erzeugt Zugehörigkeit.
2. Pedantische Genauigkeit.
Es weist dich jemand auf die kleinste Regelabweichung hin und du fragst dich warum. Für viele neurodivergente Menschen sind Muster und Abläufe wie eine innere Landkarte. Abweichungen fallen sofort auf und können sich wie echte Gefahren anfühlen.
Reaktion: Bedanke dich für die Info. Allein gehört zu werden, hilft. Frag nach, ob und warum dieses Detail wichtig sein könnte. Häufig entsteht daraus ein wertvoller Hinweis und tieferes gegenseitiges Verständnis.
3. Wortklaubereien und Missverständnisse
Manchmal nehmen Neurodivergente Sprache extrem wörtlich. Tatsächlich liegt das Problem jedoch tiefer: zwei Menschen verstehen dieselbe Frage unterschiedlich. Zum Beispiel: „Was kannst du beitragen?“ wird von vielen Neurotypischen automatisch als „Was möchtest du beitragen?“ gelesen. Eine neurodivergente Person liest sie hingegen als “Was wäre das Wertvollste für die Gruppe?”. Für andere kann die Vielfalt an möglichen Antworten überfordernd sein – Missverständnisse entstehen leicht.
Reaktion: Sprich es an. Wenn etwas seltsam wirkt, frag nach und paraphrasiere. Ein kurzes „Fragst du dich auch gerade, was du beitragen möchtest?“ kann Missverständnisse sofort auflösen.
Unsichtbar, um nicht aufzufallen
Das Problem: Neurodivergentes Verhalten wird oft als Kritik gewertet. Mit dieser Erfahrung wachsen die meisten Neurodivergenten auf, das sind immerhin 15-20 % der Gesellschaft.
Außerdem sind viele Begriffe, die wir in solchen Zusammenhängen verwenden, negativ gefärbt. Oder hat es hier jemanden im Lesefluss gestört, dass es “langatmige” Erklärungen hieß, anstatt “detailgenaue”? Dass es “pedantische” Genauigkeit lautete, anstatt “gewissenhafte”? Oder “Wortklaubereien” anstatt “Sachliche Eindeutigkeit”?
Lange Zeit war auch ich stolz darauf, in einer Menschenmenge untergehen zu können. Bewegungen anpassen, dieselbe Energie ausstrahlen, bloß nicht auffallen. Unsichtbarkeit war gleichbedeutend mit Sicherheit. Kurzfristig half mir das – langfristig hat es mich nicht glücklich gemacht.
Sichtbarkeit erzeugen
Heute weiß ich: Sichtbarkeit bringt Zugehörigkeit.
Im Sommer 2025 habe ich zum ersten Mal vor rund 200 Menschen offen gesagt, dass ich Neurodiversitätscoach bin – und selbst neurodivergent. Die Resonanz war überwältigend. Es entstanden so viele Gespräche, dass ich mich zum ersten Mal wirklich willkommen fühlte.
Mich zu zeigen, widerspricht allem, was ich in den ersten 30 Jahren meines Lebens gelernt habe. Aber genau darin liegt die Kraft: sich sichtbar machen, Verbindung schaffen, Wirkung entfalten.
Wie gehen eure Teams heute mit neurodivergenten Stärken um – und wo siehst du Potenzial, mehr daraus zu machen?
Ich bin Monika von Flow by Wolff. Mein Fokus liegt auf klaren Prozessen, inklusiver Führung und Arbeitsumgebungen, in denen Ideen Raum haben, sich zu formen, zu wachsen und Wirkung zu entfalten.
Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, wie viel Energie es kostet, unsichtbar zu bleiben. Heute arbeite ich mit Führungskräften und Teams daran, dass genau das nicht mehr nötig ist.
Gemeinsam entwickeln wir Strukturen, die neurodivergente Stärken sichtbar machen, Boreout genauso vorbeugen wie Burnout, und damit Räume öffnen, in denen echte Innovation entstehen kann.
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