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Kreativität, Ideenmanagement, Innovation. Wir reden alle von demselben, oder? Ich glaube nicht. Denn sonst wäre es nicht für einige Menschen ganz selbstverständlich damit zu spielen und für andere ein undurchschaubarer Sprung von 0 auf 1.

Was ist Kreativität?

Für mich ist Kreativität keine Fähigkeit, sondern Freiheit. Aber was sagen offiziellere Quellen:

Kreativität braucht Originalität und Effektivität. (Quelle (übersetzt): The Standard Definition of Creativity)

Oder wie Wikipedia es zusammenfasst: Kreativität ist die Fähigkeit, etwas zu erschaffen, was neu oder originell und dabei nützlich oder brauchbar ist. (Quelle: Kreativität)

Für mich hieß nützlich lange: Überlebensdienlich. Dazu gehörte auch, etwas zu erschaffen, Unterhaltungswert in Textform. Kann wohl nur eine Autorin behaupten, dass das überlebenswichtig sei. Kunst macht das Leben lebenswert, aber ich meine es tatsächlich wörtlicher. Den Effekt oder auch die Nützlichkeit meiner Kreativität habe ich mit dem Titel bereits vorweggenommen: Ich habe mich damit gerettet.

Rettung – aber vor wem oder was?

Als Kind ist alles ein Spiel. Mit Legos und Barbies und viel Vorstellungskraft sind ganze Welten in meinem Kopf entstanden. Oft waren das Häuser oder Burgen, manchmal Tunnelsysteme oder Baumhäuser. Mir ging es um Kontrolle, aber nicht im Spiel selbst. Meine jüngeren Geschwister haben mindestens genauso viel zu den Geschichten, die wir spannen, beigetragen.

Trotzdem war Kontrolle zentral. Ich habe dafür gesorgt, dass wir spielten, besonders dann, wenn alles andere zu laut war. Ich habe die Welt konstruiert. Und es war diese erträumte Welt, in der auch ich nicht mehr den Erwachsenen ausgeliefert war.

Als Jugendliche habe ich angefangen Geschichten aufzuschreiben. Es begann mit einer Hausaufgabe in Welt- und Umweltkunde. Das alte Ägypten schlug mich in seinen Bann und zum ersten Mal las ich eine selbst verfasste Geschichte laut vor. Es war fabelhaft!

Sowas verbraucht Zeit – zum Glück! Zeit, die ich dadurch genau so füllen konnte, wie ich wollte. Am Schreibtisch oder auf meinem Bett “oben im Turm” sitzend, galt ich als fleißig. Solange ich dieses Bild wahrte, konnte ich aufschreiben, was ich wollte, darüber sinnieren, wie ich wollte, und meinen Gedanken nachhängen, wo sie hinflossen. In meinen Gedanken fühlte ich mich frei.

Als Unternehmensberaterin hatte ich keine Hobbies und kaum Freizeit. Ich war nicht ausgebrannt, sondern innerlich erstarrt. Als ich das Träumen (oft mit offenen Augen im Zug) und Schreiben für mich wiederentdeckte, fand ich langsam zu mir zurück. Ich sah wieder die Schönheit im Alltäglichen, erkannte Rätsel am Straßenrand und hatte spontan Lust sie zu lösen.

Ich fand zu mir, weil ich meinen Emotionen Raum schaffte. Damals hätte ich das nicht gesagt, nicht einmal gedacht. Denn als Frau in der Tech-Branche war Emotionalität ein Makel. Aber für eine gute Geschichte brauchte ich fesselnde Charaktere, jeder davon trägt einen Teil von mir in sich in Form von Eigenschaften, Wünschen, Geheimnissen, Problemen und vor allen Dingen Emotionen. In ausgedachten Welten durfte ich das.

Kurz gesagt mir diente Kreativität als Ausrede, Maske und ganz generell als schönere Alternative zur Realität. Dorthin konnte ich jederzeit fliehen. Bezeichnenderweise hatte ich während meines Studiums und in meinen ersten Berufsjahren “keine Zeit” dafür.

Originalität – war das wirklich neu?

Lange dachte ich, allein damit zu sein, einzigartig. Inzwischen glaube ich, bei weitem nicht die Einzige zu sein, die Kreativität in dieser Form als Rettung nutzt. Beigebracht hat mir das niemand. Vielleicht ist Geschichtenerzählen einfach die älteste Form der Menschheit, die Dunkelheit in der Nacht zu vertreiben.

Und der Inhalt? Okay. Welche Geschichte wurde denn noch nicht erzählt? In keiner Abwandlung?

Klar, ich habe meine eigene Stimme und eigene Form, vielleicht sogar besonderen Blickwinkel oder ausgefallenen Kniff Spannung aufzubauen. Aber, ganz ehrlich, ich erkenne viel zu gut Muster, um jetzt andersherum zu behaupten “ich denke mir ganz neuen Shice aus”. Natürlich nicht!

Denn mit dem Internet unter unseren Fingerspitzen heißt Neuheit meistens eine neue Kombination auszuprobieren. Zwei oder mehrere bekannte Elemente zu verbinden, eine Reihenfolge zu verändern oder ein Muster von einem Fachgebiet auf ein anderes zu übertragen. Um nur einige Beispiele zu nennen. Und das ist gut! Sie alle machen das Werk originell. Nicht umsonst lassen sich zum Beispiel auch Prozessabfolgen urheberrechtlich schützen.

Wenn ich von Kreativität spreche, meine ich nicht das Ergebnis, eine Idee oder ein Werk. Ich meine den Schaffensprozess. Wir nennen Ideen kreativ, dabei sind sie doch bloß ein Anfang. Der richtige Spaß beginnt, sobald man einer Idee nachgeht. Das kann in Gedanken sein oder in einem Gespräch oder durch Prototypisieren.

Diese Freude war es, die mich rettete. Und es war währenddessen, dass mehr entstand als nur ein Text, ich habe ganz neue Fähigkeiten erlernt. Spielerisch. Im drucklosen Raum. In Freiheit.

Für mich ist Kreativität nicht nur ein Weg nach vorne, sondern auch ein Blick nach innen. Ein Prozess, der mir geholfen hat neben der Kontrolle auch Weichheit zuzulassen, in dem mein inneres Chaos endlich Struktur fand, und in dem ich mir den Flow-Zustand genau zwischen Über- und Unterforderung zu eigen gemacht habe.

Ich glaube: Kreativität verdient mehr Raum in uns und in unserer Arbeitswelt. Wie zeigt sie sich bei dir? Und was würde passieren, wenn du ihr wieder öfter folgst?

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